„Das war kein guter Start der Koalition in die neue Wahlperiode“, sagte heute der Fraktionssprecher der SPD-Fraktion im Stadtparlament bei seiner 100-Tage-Bilanzpressekonferenz in Darmstadt.
Die Arbeit der Koalition sei von Pleiten, Pech und Pannen begleitet. Der Wille, eine sozial gerechte Stadtgesellschaft und die notwendigen Großprojekte mit Mut und Entscheidungskraft anzugehen, sei häufig nicht sichtbar. Die SPD sieht ihre Aufgabe deshalb darin, immer wieder auf Projekte hinzuweisen, die verschleppt werden, aber auch mit eigenen Vorschlägen politische Alternativen aufzuzeigen. Als Beispiel nannte Siebel den Neubau eines Fußballstadions. Während die Grünen im Wahlkampf noch mit dem Stadionneubau auf Plakaten geworben hatten, war Partsch nach eigenen Angaben schon längst auf der Suche nach einem Alternativstandort. Heute ist völlig unklar, ob die Stadt sich überhaupt noch an einem Neubau beteiligen wird.
„So kann man mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt nicht umgehen. Für uns ist klar: Eine Ertüchtigung des Böllenfalltors kann nur eine Übergangslösung sein und ersetzt einen Neubau nicht. Investitionen sollen nur soweit getätigt werden, wie sie für die Lizenzierung notwendig sind. Das gesparte Geld soll stattdessen lieber in den Neubau gesteckt werden“, so Siebel.
Siebel untermauerte seine Einschätzung zur mangelnden Entscheidungskraft der Regierung außerdem am Beispiel des fehlenden Berufsschulentwicklungsplans. Seit Jahren trete man hier auf der Stelle, ohne dass irgendein Fortschritt erkennbar sei. Dabei müsse die Berufsschullandschaft in Darmstadt und Umgebung dringend weiterentwickelt werden – organisatorisch, baulich und konzeptionell. Anstatt aber die Schulgemeinden in einen positiven Entwicklungsprozess mitzunehmen, tage man jahrelang hinter verschlossenen Türen und bringe dann nicht die Kraft auf, die Ergebnisse auch umzusetzen.
Ebenso hochproblematisch ist laut Siebel der Stillstand bei der Verkehrsentwicklung. Gerade die Verkehrsentwicklung sei für Darmstadt essentiell. Mit der Abplanung der Nord-Ost-Umgehung sei eine konzeptionelle Lücke gerissen worden, die nicht absehbar gefüllt werde. Nach Auffassung Siebels müsse ein Verkehrskonzept Mobilität in der Stadt, in die Stadt hinein und aus der Stadt heraus als Mobilitätsdienstleitung verstanden werden. „Straßen, Radwege, Bahnen und Busse sind Mittel zum Zweck, nicht der Inhalt von Verkehrsentwicklung der Zukunft“, erläuterte Siebel.
Auch bei dem Megathema Wohnen stünden Strategien und Entscheidungen an. Die Festlegung der Koalition, in den kommenden Jahren 10.000 Wohnungen zu bauen, sei richtig und es sei auch richtig, davon 45 % als Sozialwohnungen und Wohnungen für mittlere Einkommen zu erstellen. Die Koalition lasse nur offen, wo und wie diese Wohnungen gebaut werden sollen. Aus Sicht der SPD sind zwei Felder zu beackern: erstens müsse systematisch untersucht werden, wo aufgrund bestehenden Baurechts aufgestockt und verdichtet werden kann und zweitens müsse sich die Fraktion entscheiden, ob sie den sozialen Wohnungsbau in den Vordergrund stellen oder hochpreisige Wohnungen –wie es eher die Linie der CDU ist – bauen will. „Und das hat auch wieder mit der Verkehrspolitik zu tun. Einen Stadtteil verkehrsreduziert zu bauen, heißt nicht unbedingt, ihn hochpreisig zu bauen. Ganz im Gegenteil. Diese Frage wird zur Nagelprobe bei der zukünftigen Entwicklung der Cambrai-Frisch-Kaserne“, so der Fraktionssprecher. Der SPD ist dabei klar, dass gerade das Thema Nachverdichtung auch zu Widerständen in der Bevölkerung führt. Obwohl die SPD in der Opposition ist, wird sie sich nicht scheuen, auch unpopuläre Entscheidungen mitzutragen, denn: „Es ist unsere Überzeugung, dass an einer Nachverdichtung kein Weg vorbeigeht, wollen wir Wohnen in der Stadt nicht zu einem exklusiven Luxus für die Reichen machen.“
Mit wenig Fortune war nach Auffassung des SPD-Sprechers der Oberbürgermeister mit seinem Personal im Magistrat gesegnet. Der Fehlgriff des Ordnungsdezernenten Reißer im Zuge des Fußball-Derbys, der Darmstadt bundesweit in ein schlechtes Licht stellte, sei bereits hinreichend kritisiert worden. Die enormen Kostensteigerungen beim Nordbad zeugten aber von weiteren erheblichen Missständen in den Reihen des Magistrats: „Wenn Herr Reißer ein Schwimmbad für 13 Millionen bauen will und vier Jahre später, ohne einen Stein auf den anderen gesetzt zu haben, bereits bei geschätzten Kosten von 35 Millionen liegt, dann muss man sich schon fragen, wie seriös da eigentlich gearbeitet wird“, so Siebel. Aber auch hier will die SPD die Vereine und die Bürgerinnen und Bürger nicht im Regen stehen lassen: „Wir tragen den Neubau des Nordbads weiterhin mit, verlangen aber eine Aufklärung über die explodierenden Kosten“, stellt Siebel klar. Als sehr problematisch beurteilt Siebel außerdem den Weggang der Baudezernentin Cornelia Zuschke, die sich mit einem neuen, offenen Stil viel Sympathie in Darmstadt erarbeitet hatte und auch manche Fehlentscheidung ihrer Vorgängerin Brigitte Lindscheid, die ins Regierungspräsidium gewechselt war, korrigiert hatte. „Wir bedauern, dass Frau Zuschke Darmstadt verlässt, weil viele Großprojekte gerade jetzt angegangen werden müssten: „Nordbad, Umbau Stadion, Umsetzung Landesgartenschau, Sanierung und Neubau Berufsschulzentrum – um nur einige Baustellen zu benennen. Wenn diese Punkte jetzt wieder für ein halbes Jahr auf Eis liegen, dann tut das Darmstadt nicht gut.“
Kritisch setzte sich Siebel in der Bilanzpressekonferenz auch mit der Bürgerbeteiligung auseinander. Sie habe vielfach nur Alibifunktion und erreiche nicht die Menschen in der Stadt, die von sozialer Deklassierung und Armut betroffen sind. „Es ist eine Bürgerbeteiligung für Bürger, die viel Zeit und Interesse haben, um sich in umständliche Internetdarstellungen einzuarbeiten oder an abstrakten Planungsprozessen teilzunehmen.“ Die kleinen Probleme der Anwohnerinnen und Anwohner vor Ort würden dagegen viel zu selten aufgenommen. Die Einführung von weiteren Ortsbeiräten, wie sie beispielsweise in Frankfurt seit vielen Jahren hervorragend funktionierten, sollte laut Siebel deshalb sehr ernsthaft geprüft werden.
Dass die derzeit praktizierte Form der Bürgerbeteiligung auf zu geringes Interesse stoße und dringend ergänzt werden müsse, dies zeigen auch die rückläufigen Zahlen bei den Vorschlägen zum Bürgerhaushalt. Besonders ärgerlich sei aber die Haltung des Magistrats bei der Bürgerbeteiligung Frankfurter Straße/Merck. Hier seien 4.000 Unterschriften aus dem betroffenen Stadtteil einfach ignoriert worden.
Abschließend äußerte sich Siebel zu der neuen Kooperation der Koalition mit Uffbasse. „Viele der vereinbarten Schwerpunkte lassen hoffen, insbesondere die Einführung eines Sozialtickets, wenn das Wiener Modell (Jahreskarte für 365 €) nicht umsetzbar ist. Wir begrüßen auch den Impuls, mehr Wohnungen für mittlere Einkommen zu bauen. Aber es wird zum Schwur kommen, wenn konkrete Haushaltsanträge gestellt werden, um die Maßnahmen umzusetzen“, sagte Siebel abschließend.